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Die Toleranz in Verbannung

Pierre Bayle wurde in Frankreich (in Carla-le-Compte) 1647 in einer sehr armen Familie geboren. Sein Vater war ein hugenottischer Prediger, der keine Mittel besass, ihn Theologie studieren zu lassen, wie seinen älteren Bruder. So musste sich Pierre das Wissen als Autodidakt aneignen. Er konvertierte zum Katholizismus, wodurch sich ihm die Türen zum Studium bei den Jesuiten in Toulouse öffneten. Sein neuer Glaube überzeugte ihn allerdings nicht, er kehrte zum reformierten Glauben zurück. In Frankreich herrschte jedoch eine akute Intoleranz gegenüber der Protestanten, was ihn zwang, sich in die Schweiz abzusetzen, wo er im Schloss Coppet auf dem Genfersee die drei Söhne des Grafen Friedrich von Dohna unterrichtete. Anschliessend ergriff er die sich bietende Möglichkeit, in der protestantischen Akademie von Sedan in den Ardennen Philosophie zu unterrichten, musste aber nach dem Widerruf vom Edikt von Nantes in die Niederlande fliehen. In Rotterdam, wo er bis zu seinem Tode 1706 blieb, nahm er den Unterricht der Philosophie wieder auf. Er hat eine grosse Anzahl von Werken geschaffen, wobei das wichtigste den Titel trägt Dictionnaire historique et critique. Dies ist eine geschichtlich-kritische Untersuchung, die seine intellektuelle Denkmethode darstellt. Er gelangte zum Schluss, dass Vernunft und Glaube heterogen und gegensätzlich sind, dass die biblischen Erzählungen keine geschichtliche Glaubwürdigkeit besitzen, und insbesondere, dass die Behauptung, die Religion sei Garantin der Moral, verfehlt ist. Die Verfechter der Religionen behaupteten, dass der Atheismus zu Verderbtheit führe. Wenn man aber die Korruption und die Immoralität in Europa betrachtet, so folgerte Bayle, und die obige These akzeptiert, wäre der Grossteil der Christen Atheist. Folglich wäre eine gottlose Gesellschaft nicht unmoralischer als die christliche. Er hat gefordert, dass im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens alle Handlungen, die die gesellschaftlichen Regeln verletzten wie Diebstahl und Betrug verboten werden mussten, weil diese Übertretungen zu Unsicherheit führten und die Anstrengungen der Individuen vereitelten. In diesem Sinn musste das Zusammenleben geregelt werden und durch die Angst vor der Polizei, den Gerichten, dem Henker und der gesellschaftlichen Ächtung garantiert werden.
Eine besondere Bedeutung in seinem Denken nahm die Wichtigkeit der Toleranz gegen die anderen, wobei diese Toleranz denen abgesprochen werden musste, die sich intolerant zeigten.
Bayle verwirft alle Religionen, die Zwang und Verfolgung ausüben, um die Menschen zum Glauben zu zwingen. Er kritisiert Ludwig XIV. und fragt sich, woher dieser das Recht nimmt, seinen eigenen Glauben allen Untertanen aufzuzwingen. Hätten die Herrscher dieses Recht, so meinte er, wäre die Verfolgung der Christen durch die römischen Herrscher gerechtfertigt gewesen.
Die Lehre der Erbsünde muss abgelehnt werden, weil diese absurde Theorie einen grausamen und impotenten Gott offenbart. Die Bestrafung der Nachkommen Adams ist inakzeptabel, weil eine Person, die noch nicht lebte, nicht für eine Tat verantwortlich gemacht werden kann. Die Dreifaltigkeit, die Transsubstantiation, die Hölle finden in seinem Denken ebenfalls keine Zustimmung. Falls nur wenige Menschen vor der Hölle gerettet werden, wie das die Theologen behaupten, wird die Mehrheit der Menschheit verdammt werden und sie wird Gott hassen. Das sind absurde Vorstellungen, wo sich die Religion als unlogisches Gebilde erweist, das von den Menschen erfunden und von den Herrschenden verteidigt wurde, um die Untergebenen unter Kontrolle zu halten. Il Dictionnaire historique ist ein Meisterwerk des gebildeten und freidenkerischen Skeptizismus, eine Art Handbuch der Kritik der Religionen. „Es ist richtig, ausnahmslos alle Religionen zu dulden, falls diese nur die Gewissensfreiheit verlangen und sich nicht in die zivilen und politischen Gesetze einmischen“.
Die französischen Behörden hätten Bayle gerne den Prozess gemacht, aber da sie ihn nicht handhabt werden konnten, haben sie an seiner Stelle seinen Bruder eingekerkert und zu Tode gefoltert.