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Sysiphus

Die Bibel erzählt, wie Gott die Welt erschuf und sich nach dieser anstrengenden Tat auf die Schulter klopfte, weil er sah, dass alles gut war. Aber so überwältigend war alles nun auch nicht. Selbst die Deuter der göttlichen Taten und nicht nur sie,  haben sich stets gefragt, wie Unrecht, Leid, Tod einen Platz in dieser „guten“ Welt finden konnten. Die Frage nach einem Sinn, ganz besonders nach dem Sinn des Lebens des Menschen hat viele Denker beschäftigt. Alle diesbezüglichen Bemühungen der Theologen, der Gläubigen und der Deuter der göttlichen Mysterien sind stets gegen eine Mauer von unerforschlicher Wirklichkeit geprallt. Keinen Sinn konnten diese Versuche entdecken, ein Spinnennetz von mehr oder weniger absurden Theorien hat keine Erklärung der unschlüssigen und widersprüchlichen Thesen eingefangen, die zum Zwecke dienen sollten einen guten Schöpfergott einer grausamen Welt zu retten. Unbeholfene Theorien haben sich im Geist der Gläubigen aller Religionen eingenistet. Bei der Suche nach dem „Sinn“ wurden die Denker nicht fündig.

In diesem Chor sprach der Schriftsteller-Philosoph Albert Camus mit einer vielbeachtete Stimme. Im Mittelpunkt seiner Gedanken treffen wir auf den Begriff des Absurden. Wenn einer den Sinn des Leidens und des Elends in der Welt sucht, kommt er zu keinem Ergebnis. „Der absurde Mensch“ ist stets Atheist und vermag nicht das Leiden zu erklären, er fühlt sich allem, was ihn umgibt fremd und ist sich der Sinnlosigkeit der Welt bewusst. Seine vergebliche Suche nach dem Sinn stösst ihn in eine existentielle Krise. Das Absurde verschont niemanden: es kann jeden überall überfallen.

Wie kann einer das Fehlen einer Antwort auf die Suche nach einer Bedeutung ertragen, die Unmöglichkeit, einen Sinn in einer leeren Welt zu finden? Wie kann einer die Verzweiflung oder die lähmende Passivität vermeiden? Bleibt uns nur das Verdikt einer verzweifelten Bestimmung? Camus vertreibt die Hoffnung nicht, aber er er verlangt einen aktiven Mensch im Sinne des Existentialismus, einen, der auf sich allein gestellt ist, unabhängig von einem Gott und von seiner Gnade, seiner eigenen Möglichkeiten bewusst, um sein Schicksal selbst zu bestimmen, durch die innere aktive Auflehnung, in der Annahme des Widerspruchs. Und all das, die sinnlosen Handlungen, die Revolte gegen das Absurde findet im Tod seine endgültige Bestimmung, der das unwiderrufliche Ende des menschlichen Lebens findet.

Camus kann Gott, der durch die Einbildung des Menschen geschaffen wurde, nicht als unschuldig freisprechen, indem er akzeptiert, dass ein Sinn der Ereignisse geschaffen wird. Die Gedanken des Menschen können die Beweggründe und Bedeutungen von diesem Sinn nicht erfassen, der Mensch bleibt in dieser Welt ein fremdes Wesen. Das Leben ist also von einer Bedeutung entblösst, absurd. Das aufschlussreiche Bild dieser Absurdität ist die Mühe von Sysiphus. Diese Figur aus der griechischen Mythologie hat in der Geschichte des Denkens und der Kunst oft zum Nachdenken geführt. Die Einbildungskraft des Menschen hat nicht nur verschiedene Gottheiten geschaffen, sondern auch ein Betätigungsfeld in der Erfindung der durch die Götter verhängten Bestrafungen gefunden. Die Erbsünde, die Sintflut, selbst die Geschichte der Kreuzigung Jesu und viele anderen Episoden aus den Religionen zeugen von der Bösartigkeit vom Gott der Gläubigen. Wie eben die Mühe von Sysiphus, das aufreibende Bild des Absurden. Der Aufwand, um einen Felsbrocken dem Berghang entlang auf die Spitze zu stemmen ist völlig nutzlos, weil jedesmal, wenn Sysiphus oben angelangt ist, der Fels wieder zum Fuss des Berges hinunterrollt. Jedesmal und ewig. Sysiphus musste seinen Aufstieg stets neu beginnen, ohne je in seinem Unterfangen erfolgreich zu sein.

Camus erhielt 1957 den Nobelpreis für Literatur. Sein Schicksal sorgte dafür, seine Vision vom Absurden zu bestätigen: am 4. Januar 1960 kauft er eine Fahrkarte nach Lourmarin bei Paris. Sein Freund, Michel Gallimard, der Neffe seines Herausgebers, überzeugt ihn, mit ihm im Auto zu fahren. Gallimard gerät in einen Unfall, Camus stirbt auf der Stelle. Eine absurde Fatalität beendet das Leben eines Visionärs.