Die zeitgenössische Kunst
Welche Kunst? Das Mittelmäßige, Durchschnittliche, Erzwungene, Erbrochene erobert die Zustimmung der Betrachter. Im Zeitalter der Information und der ausgreifenden Kommunikation wird groteskerweise der Aussage kein Raum mehr freigehalten. Doch nicht nur der Inhalt wird entbehrlich; auch die Form hat ausgedient. Sie wird zum Zufallswerk, zur Un-form, zum Chaos. Bei allem Bemühen um neue Ausdrucksgattungen, die durch „Spurensicherung“, Happenings, Minimal Art, Land Art, Ready mades, Performance und anderen modernen Kreationsformen geschaffen wurden, muss doch zumindest vermutet werden, dass als getarntes Ziel die Verknüpfung des eigenen Namens mit kunstgeschichtlicher Beheimatung im Vordergrund steht. So will sich selbst das Hässliche, das Abstoßende als Kunst verstehen lassen. Die Uni-Ferkelei des Wiener-Aktionismus mag wohl als Protest, als Schocktherapie, als Ausdruck von Unbehagen gedeutet werden, doch Kunst sind solche Anlässe nicht. Die „zeitgenössische Kunst“ ist die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Plattheit und Banalität finden darin Unterschlupf, neben kreativem und originellem Schaffen. Da wird im Schweizer Fernsehen der große Kunstevent angepriesen, dass ein eigens dafür erstelltes kleines (und hübsches) Holzhaus auf zwei Paar Skis vierzig Meter den Hang hinunterrutscht. Ein ziemlich erbärmliches Unterfangen. Jeder, der in seinem angestammten Beruf, sei er Arzt, Baggerführer, Autospengler oder Lehrer nicht nach Wunsch “realisieren” kann, darf sich seine Kunstrichtung erfinden. Was dabei herauskommt, ist egal. Und da Galleristen und Kuratoren eine Heidenangst davor haben, als unzeitgemäß und rückständig abgestempelt zu werden, blasen sie tüchtig im Fasnachtschor der neuen Kunstpäpste ihre schrägen Töne. Auf der einen Seite gilt: je weniger Anstrengung und technisches Können in einem Werk zu Vorschein kommen, umso mehr wird ihm Geniales angedichtet. Die Alternative dazu krönt sinnlose, technische Monsterkonstruktionen zu Kunstwerken. Man verstehe mich nicht falsch; am Verspielten, Tänzerischen, Chaotischen, vordergründig Sinnlosen, die sich um Beispiel in den Werken Tinguely’s manifestieren, hat man zu Recht Freude. Doch wie viel Knorz wird sonst dem Zuschauer zugemutet? Nur so kann der unsinnige Spruch von Werner Haftmann gedeutet werden: Kunst ist, was berühmte Künstler machen.* Dies im Zusammenhang mit der Schöpfung von Marcel Duchamp, der ein Pissoir deshalb zum Kunstwerk erklärt hatte, weil er seine Signatur darauf setzte. Wenn aber die Signatur das konstituierende Merkmal eines Kunstwerkes ist, dann könnte einer auf die Idee kommen, sich von einem großen Künstler die Unterschrift auf das Gesäß tätowieren zu lassen und danach als lebendiges Kunstwerk bis ans Ende seiner Tage durch die Welt wandern. In einem bestimmten Alter wäre er dann ein antikes Kunstwerk, oder? Ich wünsche mir eine Kunst, die nicht nur das Triviale verherrlicht, sondern auch Fertigkeit zum Ausdruck bringt. *Betrachtungen zur Tautologie. Das Philosophische Wörterbuch von Walter Brugger nennt Tautologie (wörtlich „dasselbe sagend“) ein Urteil, dessen Subjekt und Prädikat nicht bloß der Sache, sondern dem Begriffe nach identisch sind, der Gebrauch verschiedener Worte, um einem verschiedenen Sinn oder eine Begründung vorzutäuschen. „Berühmte Künstler“ sind dem Wortsinn nach Menschen, die durch ihre Kunst berühmt wurden. Wenn dann „Kunst“ als Werk solcher Menschen definiert wird, dann beißt sich der Hund selber schmerzhaft in den Schwanz.