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Der häretische Arzt

Anfänglich hat sie uns beeindruckt, doch mit der Zeit haben wir uns an sie gewöhnt, an diese Menge von bärtigen Männern, die mit vor Hass entstellten Gesichtern in den Strassen islamischer Städte marschieren, die Fäuste gegen den Himmel schütteln, an die eigene Brust hämmern, und aggressive Slogans gegen die „Ungläubigen“ schreien. Es wäre für sie äusserst schwer, für diesen Fanatismus, dessen Ursprung zum Ziel hat, die Welt zu beherrschen, eine vernünftige Erklärung zu liefern. Auslöser dieses Eifers ist ihre Religion. Wie alle anderen Religionen, ist auch der Islam autoinduktiv, von anthropomorphen und irrationalen und vor allem inflexiblen Konzepten geschaffen. Dies kann auch nicht anders sein, weil falls diese Fanatiker darüber nachdenken sollten, dass die Religion der anderen respektiert werden sollte, müssten sie unweigerlich zugeben, dass der eigene Glaube relativ ist, womit der Beginn des Zerfalls ihrer künstlichen Welt einsetzen würde. Gedankenfreiheit ist der Totengräber des Glaubens und das wissen die Imame, die in den Massen die Glut der Intoleranz entfachen. Selbst der Koran lehrt diese Haltung, die den „Gläubigen“ vorschreibt, die „Ungläubigen“, nämlich alle jene, die nicht ihrer Meinung sind, zu töten.
Gelegentlich begegnen wir jedoch in der Geschichte auch muslimischen Denkern, die eine tolerante Geisteshaltung vertreten. Selbst, wenn eine oberste Instanz in ihrem philosophischen Konzept Platz findet, verbreiten sie den religiösen Integralismus nicht. Einer von diesen ist Abu Bakr Mohammed Ibn Ar-Razi. Er wurde um 850 geboren und starb im Jahr 925.
Ar-Razi war ein sehr berühmter Arzt, und bekleidete unter anderem den Posten des Direktors der Spitäler in Rayy und von Baghdad. Er verfasst etwa 200 wissenschaftliche Werke. Er untersuchte den Unterschied zwischen Masern und Pocken und entwickelte eine Behandlung von Geschwüren. Ferner war er in Musik, Alchemie und Chirurgie bewandert.
Seine philosophischen Werke sind uns nur fragmentarisch überliefert, oft nur im Spiegel der polemischen Schriften der Ismailiten, seiner Gegner. In seiner Lehre hatte Ar-Razi die Vernunft gewürdigt, die allen Menschen innewohnt, sich aber erst durch die Erziehung zu einem brauchbaren Instrument herausbildet. Er kritisierte alle Religionen, die sich gegenseitig widersprechen und der Wahrheit entgegenstehen. Er meinte, ihr Stillstand könne durch die Traditionen und Gewohnheiten erklärt werden, die zu Kriegen führten und die Wissenschaften behinderten.
In den Augen der Orthodoxen war Ar-Razi ein amoralischer Häretiker, ein schlechtes Beispiel. Seine Deutung der geoffenbarten, prophetischen Religion war in der Tat äusserst provozierend. Er hatte in einer Diskussion gefragt: „wie kann jemand ein philosophischer Gelehrter sein, den Fabeln des Korans Glauben schenken und die Widersprüche, die Unwissenheit und die blinde Imitation hinnehmen? Der Koran ist keineswegs ein wunderbares Werk. Es gibt Tausende von Werken, die flüssiger, präziser, beredter und auch eleganter sind.“
Manche bestreiten, dass Ar-Razi dieses Urteil gefällt hatte, doch der Umstand, dass diese Wertung überliefert wurde weist darauf hin, dass er heftige Kritik an den heiligen Text der Muslims geübt hatte. Wir wissen nicht, in welchem Masse er eine aktive Rolle bei der Formulierung der Geschichte der „drei Betrüger“, gemeint Moses, Jesus und Mohammed, gespielt hatte. Jedenfalls gehörte er zu den wenigen Vertretern, die einen privilegierten Status des Propheten abgelehnt hatten, wodurch er sich nicht nur ausserhalb der Orthodoxie, sondern auch des Islams begeben hatte. Er vertrat die Ansicht, dass der Prophet keine aussergewöhnliche Gabe oder Weihe im Vergleich zu den anderen Menschen hatte und dass die Wunder als Ergebnis von Schwindel oder Legende zu deuten wären. Er hat sogar die Unnachahmlichkeit des Korans, das einzige vom rechtgläubigen Islam anerkannte Wunder geleugnet.
Wegen seiner den Islam ablehnenden Haltung verlor Ar-Razi seine Stellung als Direktor des Spitals von Rayy und starb in Armut im Haus seiner Schwester.