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Der polternde Agitator

Einer der meistzitierten Sätze aus dem Werk von Karl Marx ist die berühmte Aussage: „Religion ist Opium für das Volk“. Dieser Vergleich, der ursprünglich aus der Feder von Marquis de Sade stammt, beraubt die Religion jeglicher göttlicher Dimension und reiht sie in die verwerfliche Kategorie der Suchtmittel ein. In der Tat, Opium ist schmerzlindernd, betäubend und weckt Illusionen, hilft also dem Volk, das Übel der Unterdrückung und Ausbeutung zu ertragen. Marx übernimmt die Deutung von Ludwig Feuerbach, wonach nicht der Mensch eine Schöpfung Gottes, sondern Gott eine Schöpfung des Menschen nach dessen eigenem Vorbild ist. Gott ist, als Spiegelbild des Menschen, das, was der Mensch sein möchte. Allerdings belässt Marx es nicht bei der allgemeinen Feststellung, wonach die Religion ein menschliches Konstrukt ist, sondern deutet sie als Machtmittel der Herrschenden, um das Volk zu unterdrücken. Da liegt aber ein Denksprung vor, denn die Religionen wurden nicht als Machtinstrument geboren, sondern haben sich mit der Zeit dazu gewandelt. Das ursprüngliche Verständnis der Religion als Erklärung für Unverstandenes und Richtmass für menschliches Handeln entpuppte sich allmählich als leicht zu handhabendes Mittel für Machtausübung und gaben den Priesterklassen ein Instrument der Unterdrückung. Sie haben die Menschen nicht nur mit diesem schmerzlindernden Mittel betäubt, damit sie die Qualen besser ertragen, sondern auch gefügig gemacht. Denn die Religionen haben nicht nur die Rolle der Palliative, sie sind in der Geschichte oft als Gewaltmechanismen, als Vehikel für Willkür und Ausbeutung eingesetzt worden; denken wir nur an die Inquisition der katholischen Kirche oder an das Schwert der Islamisten, das die „Ungläubigen“ niedermetzelt. Die gern gerühmte Modernisierung der katholischen Lehre entpuppt sich schon beim flüchtigen Zusehen als Täuschung, als Sand in die Augen. Die alten Zöpfe werden nicht abgeschnitten, mit billigen kosmetischen Mittel wird versucht, die runzlige Lehre aufzufrischen. Papst Franziskus verkündet oft Postulate für mehr soziale Gerechtigkeit und begibt sich in die Nähe marxistischer Vorstellungen. Er vergisst aber, dass Marx die Beseitigung der Religion gerade als Resultat der Aufhebung sozialer Unterschiede als automatischen Prozess verstanden hatte. Religion, als Erzeugnis des Übels „Ausbeutung“ wird in einer klassenlosen Gesellschaft aufgehoben und eliminiert. Wer sich also mit Marx flirtet, sollte auch die Religion verwerfen. Allerdings hat sich Marx mit der These der Ende der Religion in der klassenlosen Gesellschaft getäuscht. Der Beweis wird vom kommunistischen System geliefert. In der Sowjetunion wurde die Religion staatlich bekämpft, doch sie hat trotz Marxens Voraussicht unterschwellig überlebt und als das kommunistische System zusammenbrach, errang die Kirche ihre Macht und ihr Reichtum in kürzester Zeit wieder und die ehemaligen Kirchenfeinde, die sich auch im neuen System an der Spitze des Staates behaupten konnten, liessen sich nun von den Medien einfangen, als sie dem Patriarchen die Hand küssten und sich in der Kirche mit Kreuzzeichen eindeckten.
Religion ist die Hydra der Geschichte.