Ein freundlicher Raufbold
Gewöhnlich werden die revolutionären Ideen nicht von Aristokraten verbreitet. Die herrschende Schicht, die Privilegien, Reichtum, Bequemlichkeit und andere Vorteile geniesst, ist normalerweise nicht gewillt ihre weichen Sesseln gegen die unbequemen Holzbänke der weniger Begünstigten einzutauschen. Dennoch gibt es in der Geschichte gelegentlich Ausnahmen. Mut, Klarsicht, Demut und Gerechtigkeitssinn sind Tugenden der Grossen, aber wie viele solche Grössen finden wir in der Geschichte? Wenige, sehr wenige! Eine solche Ausnahme entdecken wir in Frankreich in der Zeit vor der Revolution: ihr Name war Paul Henri Thiry Baron von Holbach. Dieser Philosoph und Mitautor an der Enzyklopädie von deutscher Herkunft hat sein Leben und seinen Reichtum einem entschlossenen Kampf gegen die Religionen und gegen die katholische Kirche gewidmet. In erster Linie führte er diesen Kampf mit einer grossen Anzahl von Büchern, oft unter dem Namen verstorbener Denker, um den Sanktionen einer erbarmungslosen Zensur zu entfliehen. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Hausierer für fünf Jahre eingekerkert wurde, weil er das Buch Holbachs “Das entschleierte Christentum” verkauft hatte. Seine Frau wurde wegen mutmasslicher Mittäterschaft lebenslänglich in ein Irrenhaus gesteckt und ein junger Mann für neun Jahre auf die Galere geschickt wurde, weil er dieses Buch ebenfalls verkauft hatte! Nebst den Veröffentlichungen übte Holbach starken Einfluss auf die Gesellschaft aus, indem er jeden Donnerstag und Sonntag jeweils zwölf bedeutende Persönlichkeiten zu sich nach Hause einlud, wo alle über philosophische Probleme diskutierten. Diese Mahlzeiten bescherten Holbach den Spitznamen Chef der service der Philosophie. Sein Wirken erstreckte sich auch auf die Enzyklopädie seines Freundes Diderot. Logischerweise förderte er diese wichtige Quelle der Aufklärung. Eine bevorzugte Zielscheibe seiner Angriffe galt der absolutistischen Unterdrückung in Frankreich, die sich auf die Allianz von Monarchie, Adel und Klerus gründete. Das Bild eines despotischen Gottes schuf nach seiner Meinung boshafte Untergebene. Ein tyrannischer Gott umgab sich mit feigen Sklaven. Diese erfundene Welt, um die Machthaber zu unterstützen, konnte nach der Meinung von Holbach nur durch den gesunden Menschenverstand zerstört werden. Sein philosophisches Hauptwerk trug den Titel “System der Natur oder von den Gesetzen der Physischen und Moralischen Welt” und lehnte alle theologischen Inhalte des Christentums ab, wie die Belohnung im Jenseits, den Begriff der Seele, und alles übrige, was von den Kanzeln gelehrt wurde. Der Titel des Werkes drückt seine Gedanken aus: die natürlichen Ideen stehen den übernatürlichen entgegen. Wir würden jedoch Holbach ein Unrecht antun, wenn wir nicht erwähnen würden, dass sein Wirken auch eine grosse Anzahl wissenschaftlicher Bücher enthielt.
Im allgemeinen haben alle Teilnehmer an seinen Mahlzeiten bezeugt, dass der Baron und seine Frau liebenswürdig und gastfreundlich waren. Dennoch gibt es vereinzelt Stimmen die behaupten, Holbach hätte einen schwierigen Charakter gehabt und wäre gelegentlich auch seinem Freund Diderot gegenüber widerspenstig gewesen. Gewiss, wenn im Herzen eines mutigen Kämpfers ein heiliges Feuer brennt, besteht die Gefahr, dass es andere ansengt.
Holbach starb wenige Monate vor der Französischen Revolution; es wurde ihm also nicht vergönnt, den Sturz des von ihm so gehassten Systems zu erleben.
Es ist schwierig, den Umstand zu bewerten, dass Holbach in der Pfarrkirche von Saint-Roch mit religiöser Abdankung beigesetzt wurde; möglich, dass die Anonymität seiner Schriften bei der Kirche keine Hindernisse errichtet hatte, obwohl die Beisetzung des Atheisten in klarem Widerspruch zu seinen Überzeugen stand. Vielleicht handelte es sich dabei um eine zynische Rache seines Umfeldes, oder aber eine verschleierte Zusage des Philosophen an die Angst, er hätte sich doch getäuscht.