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Italienische Reisen

Italienische Reisen? Nein, nicht jene von Goethe, es geht nur um meine eigenen Erfahrungen. Verzeihen Sie, lieber Leser!
Ich gehöre zu jenen Menschen, denen das Meer gefällt. Dies ist trivial, denn wem gefällt das Meer schon nicht? In einem Land geboren und aufgewachsen, wo ein Binnensee, als „Meer“ bezeichnet wird doch wo sonst das Meer nur in den Büchern vorkommt, bin ich besonders meereshungrig. Mein Glück ist, dass ich nur wenige Autostunden von den italienischen Küsten entfernt lebe, sodass die Reise an den Strand abgesehen von der italienischen Fahrweise durchaus leicht zu bewältigen ist. Ich liebe besonders die Versilia, den Strand zwischen Viareggio und Forte dei Marmi, eine Gegend, die einst berühmt war wegen der vielen italienischen Stars, Adeligen und Neureichen, die sich hier gerne den Fotografen zeigten. Ich stieg in einem kleinen, kürzlich renovierten Hotel ab, mit eigenem sehr gepflegten Lido. Gratis war zwar die Baderei nicht, denn ein grosses Zelt mit Liegebetten, Liegestühlen, abschliessbaren Kasten kostete im Tagessatz so viel wie in manch einem Hotel ein Doppelzimmer.
Ich wähle für den Urlaub immer Mitte September, weil da die Rangelei der italienischen Familien schon vorüber ist, aber dennoch alles noch perfekt funktioniert. Da knirscht der Sand nicht zwischen den Zähnen, die die raufenden Kinder in alle Winde streuen, da ist das Warngeschrei der ewig besorgten Grossmütter verstummt, da werden die knapp verhüllten Kurven geblondeter Italienerinnen nicht aufreizend den Kellnern und Badeaufsehern vorgeführt, nachdem sie gut hörbar ihren im Büro verbliebenen Ehemännern „Ciao amore, vieni presto“ zutelefoniert hatten. Dazu kommt, dass während dieser Periode meistens das Wetter sehr angenehm ist, nicht so heiss, wie in den Sommermonaten, doch warm genug, um den scheidenden Sommer zu geniessen. Mit einem Stoss Bücher bepackt gönne ich mir Lektüre und Ruhe.
Oder sagen wir, ich möchte das tun. Doch ich habe die Rechnung ohne der Hundertschaften der Strandverkäufer aus Schwarzafrika gemacht, von den Italienern abschätzig „vucompraa“ genant, die im (mit der Stoppuhr gemessenen) Rhythmus von 30 Sekunden mit „ciao capo“ oder „ciao bella“ deinen Frieden stören. Die Menge und Varietät gefälschter Waren, die sie anbieten, könnten die Gallerie Lafayette füllen. Anfänglich weise ich sie mit einem „nein danke“ anständig weg, denn ich will nicht als Rassist eingestuft werden (was heutzutage bei uns bei jeder harmlosen Kritik an irgend etwas die Zeigefinger hochschnellen lässt). Nach einer Stunde werde ich etwas intoleranter, ich winke nur mit der Hand ab. Viele verstehen das Zeichen und ziehen weiter; doch einigen genügt das nicht, sie beharren auf ein Verkaufsgespräch. Da kann es schon einmal passieren, dass meine Stimme bestimmter wird, wenn ich meine Ruhe verlange (und verliere). Doch diese sind überzeugt, dass ich ihnen mit der Abweisung ein Unrecht antue und fahren fort. Einige schicken mir in ihrer Muttersprache ihre – wohl rassistische – Meinung nach, andere werden beleidigend. Ich verspüre beinahe unwiderstehliche Mordgelüste, stelle mir allerdings die italienischen Gefängnisse vor und verzichte auf Gewalt. Die italienische Reise bekommt einen bitteren Beigeschmack.
Dann überlege ich: Italien ist erwiesenermassen das Land (nach China), das am meisten gefälschte Markenartikel produziert und verkauft. Das sollte doch den Behörden ein Dorn im Auge sein, denn es geht in die Milliarden, die hier steuerfrei und ohne MwSt verhökert werden, um nicht vom Schaden zu sprechen, der dem Gewerbe verursacht wird. Hat einer beim Grenzübertritt tausend Euro mehr bei sich als die lächerliche Obergrenze von zehntausend zulässt, wird er festgehalten, sein Geld beschlagnahmt und alle Zeitungen berichten über den Steuerflüchtling. Aber die Milliarden, die dem Staat entgehen kümmern die Behörden nicht. Dabei ist es so einfach, Herkunft und Organisation dieses Schwarzhandels ausfindig zu machen. Die Behörden wollen das nicht an die Hand nehmen. Fragen Sie mich nicht warum, ich könnte wegen Verleumdung angeklagt werden.
Untätig sind sie aber nicht. Erwischen die Grenzwächter jemandem mit gefälschter Ware, so wird er gebüsst und die „Marken“-Artikel werden beschlagnahmt. Welche verfemte Feigheit! Die Verantwortung wird auf die Käufer abgeschoben, die oft aus Naivität an der Echtheit der Ware glauben. Italienische Erfindungsgabe.
So wird meine italienische Reise zu einer aufregenden Sache, im wörtlichsten Sinne des Wortes.
Ob ich wieder hinfahre? Nicht sofort, doch ich kenne meine Schwäche für das Meer. Vielleicht gehe ich das nächste Mal an eine afrikanische Küste, in der Hoffnung, dass ich dort nicht weisse Strandverkäufer vorfinde.