back 

Wen die Not bedrängt

Kann man die Errungenschaften der Zivilisation in eine hierarchische Wertordnung bringen? Was war wichtiger, das Rad oder der Kompass? Der Flaschenzug oder der Computer? Die Dampfmaschine oder das Fernrohr? Das Handy oder die Toilette? Na ja, das Handy, meinen viele, vorwiegend Frauen und vorwiegend in Indien. Der indische Minister für ländliche Entwicklung zürnte, weil trotz seinem Kampf gegen die „open defecation“ Millionen die Darmentleerung unter freiem Himmel besorgen. 60% aller Menschen, die ihre Notdurft im Freien verrichten, leben in Indien, wo aber dank der modernen Einstellung viele Frauen ihr Geld statt für die Einrichtung stiller Örtchen lieber für Mobiltelefone ausgeben, von denen im Lande 700 Millionen im Betrieb sind. Diese „enorme Schande für Indien“, wie er den Zustand geißelte, ist ihm schon lange ein Dorn im Auge. Wenn man bedenkt, dass schon fast 3000 Jahre v.Chr. in diversen Städten des Altertums öffentliche Bedürfnisanstalten existierten, die durch Kanäle entsorgt wurden … Danach gab es verschiedene Formen von hygienischen Lösungen, damit die Menschen ihre dringenden Geschäfte rücksichtsvoll und diskret erledigen konnten. Aber wie immer, gab es auch hier Rückschläge. Viel später, in Versailles etwa, wo Reichtum und Prunk den Lebensstil bestimmt hatten, gab es keine Toiletten, man ging in die herrliche Parkanlage, kauerte sich hinter einem Busch und ließ seinen Kot frei, fand dabei vielleicht eine Gesprächspartnerin, mit der man auch anderes koordinieren konnte. Für das kleine Geschäft waren die Treppenhäuser gut genug und wo heute Staatsmänner, Diplomaten und Berühmtheiten die „Gloire“ bewundern, stank es einmal ätzend nach Urin. Doch heute wird in Frankreich ein wenig stärker auf Hygiene geachtet, sodass Treppenhäuser und Parkanlagen viel seltener stinken.
Der indische Minister Jairam Ramesh wird sich aber noch lange aufregen müssen, bis sich Toiletten gegen Mobiltelefone behaupten werden.