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Der verpolte Affe

Gibt es ein Recht auf Nicht-Einmischung (oh, welch schreckliches Wort!) in die “inneren Angelegenheiten” eines Staates? Bejaht man die Frage, so lässt man alle Diktatoren gewähren: Saddam Hussein, Ghedaffi, Mubarak, al-Assad und unzählige andere. Verneint man die Frage, so steht man den starken das Recht zu, die Schwachen unter fadenscheinigen Vorwänden zu vergewaltigen. Da kann China Tibet besetzten, die Russen Südossetien, (vergessen wir die leidige Geschichte Osteuropas nicht!), die Israeli Palästina, Irak Kuweit, die USA Irak und Afghanistan und andere “Befreier”, wonach ihr Gaumen lechzt. Denn jeder Imperialist spielt sich als “Befreier” auf, auch wenn er nur als neuer Diktator auftritt. Philosophisch gesehen
gibt es keine objektiven Kriterien, die eine solche Entscheidung bewerten lassen. Werte stehen nie hinter Einmischung und Nichteinmischung. Macht, Eigeninteressen, Nationalismus, Religion liefern die Argumente für beide Haltungen. Es fehlt an
gesellschaftlichem Konsens über allgemein anerkannten Werte, die “objektive” Massstäbe setzen würden. Platon wünschte sich Philosophen als Staatslenker, doch ich befürchte, auch sie wären in dieser Frage nicht einig geworden. Wer verspürt ab und zu nicht Lust, die Geschicke dieser Welt nach eigenen Vorstellungen zu lenken und meint stillschweigend, dass dadurch eine bessere Welt entstehen würde?
Ich würde zum Beispiel die übermächtigen Waffen der grossen Militärmächte zerstören, die selbst die Götter resignieren lassen, die sie indirekt erschaffen haben. Doch da ich es nicht kann, bleibt das Dilemma, das Unrecht, Bastard der Gewalt, auch.
Wie steht es aber mit Nicht-Einmischung bei Missgeburten innerhalb einzelner Gesellschaften? Bei der Unterjochung der Frau etwa? Es sind nicht nur die heute noch stark spürbaren Ausläufer der jüdisch-christlichen Weltanschauung, nicht nur die Verachtung der Frau durch den Islam, sondern auch andere gesellschaftliche Absurditäten, die sich nicht von der Idee der Minderwertigkeit der Frau befreien können. In vielen asiatischen Staaten werden Frauen in erster Linie als Gebärerinnen von Söhnen betrachtet. Bringen sie Töchter zu Welt, ist die Wut der Ehemänner gross. Nicht selten werden die Töchter und ihre unfähigen Mütter umgebracht. Da ist jener Vater, der nur sieben Töchter vorweisen kann und seine “Ehre” dadurch rettet, dass er zwei von ihnen als Knaben verkleidet, noch ein toleranter Kerl. Heute, wo die medizinische Technik die Feststellung des Geschlechts während der Schwangerschaft ermöglicht, kommt es in Indien vor, dass Mädchen erst gar nicht geboren werden, weil die Eltern sie abtreiben. Die sarkastische Rache der Natur: in bestimmten Gliedstaaten von Indien gibt es einen solchen Frauenmangel, dass viele Jungen keine Familie gründen können. Denen kommt die Nachricht erlösend entgegen, die man am 18. Februar in den Zeitungen lesen konnte: zum erstenmal hatte ein Mann einem Kind das Licht der Welt geschenkt! Hurra, dann brauchen wir die Frauen gar nicht mehr! Das würde nich nur den Islam freuen.
Die Gewalt und die Entwertung der Frau ist keine individuelle Entgleisung, ist nicht ein Fehltritt einzelner. Hier geht es um soziale Verwerfungen, die auf archaische Vorstellungen zurückzuführen sind und heute unter keinen Umständen toleriert werden dürfen. Oft berufen sich die Verteidiger frauenfeindlicher Praktiken auf eine nicht näher definierbare “Tradition”. Doch vergessen wir nicht: Traditionen sind nicht schon deshalb wertvoll, weil sie auf eine lange Geschichte zurückblicken. Auch Traditionen müssen ethische Normen respektieren. Man müsste ein internationales Strafgericht einführen, das alle Staaten sanktioniert, die es nicht fertig bringen, die Würde der Frau nicht nur in ihrer Gesetzgebung, sondern auch in deren Vollzug zu schützen.