WIE HABAKUK DIE WELT ERLEBTE 8
Lieber Onkel Habakuk. Ich mache zur Zeit eine Reise durch Mexiko. Da gibt es viel zu sehen, besonders die alten Pyramiden der Mayas und Azteken. Diese hatten ziemlich grausame Sitten, viele Menschenleben wurden den Göttern geopfert, und nicht selten wurde das Fleisch der Opfer auch verspiesen. Heute sieht alles ein wenig gesitteter aus, wenn auch zwischen diversen kriminellen Banden noch furchtbare Kämpfe ausgetragen werden.
Ich bin auf meiner Wanderung in einer Ortschaft vorbeigekommen, die San Juan Chamula heißt. Die Kirche ist sauber und hübsch, von außen könnte man meinen, sie wäre eine normale katholische Kirche. Doch weit gefehlt. Da herrscht zum Teil Heidentum. Hier werden Teufelaustreibungen zelebriert, Krankheiten durch Tieropfer behandelt und die Götter – denn sie haben davon viele – mit Coca Cola besänftigt. Auch Heilige gibt es hier in Scharen, zuvorderst Johannes der Täufer, der sogar über den Gekreuzigten herrscht. In dieser Kirche kann man eine merkwürdige Heiligenschar beobachten. Ein halbes Dutzend Statuen ist gleich links beim Eingang aufgestellt, als würden sie in London auf den Bus warten. Nicht weit oben, wie sonst in den Kirchen üblich ist, damit die Gläubigen zu ihnen hinaufblicken müssen, sondern auf einer langen, niedrigen Bank. Vor diesen Gestalten brennen keine Kerzen, knien keine Frommen, fuchteln keine Priester. Dennoch sind es in der Heiligenverehrung hoch stehende Persönlichkeiten, die sonst in aller Welt ehrfürchtig verehrt, in Prozessionen herumgetragen und wegen ihrer Wundekraft mit ex voto Tafeln beschenkt werden. Verwundert bleibt der Besucher vor dieser Reservebank heiliger Kämpfer stehen.
Die Erklärung für das Exil ist verblüffend logisch.
Die Kirche war einmal niedergebrannt. Aus den Trümmern konnte man die Statuen retten, doch dies bekam ihnen nicht gut. Die Gläubigen warfen ihnen vor, dass sie nicht einmal ihre eigene Kirche beschützen konnten. Welche Versager!
So wurden sie also in die Verbannung geschickt, in den Fond des Kirchenschiffs, und schämen sich immer noch vor aller Welt wegen ihrer Unterlassung. Dies ist aber nur ein Exil auf Bewährung. Sobald einer sich wieder zu einem Wunder aufrafft, darf er einen besseren Platz einnehmen.
Da weht ein frischer Wind, lieber Onkel. Die Zeit naht, wo man alle Versager zur Verantwortung ziehen wird: nicht nur Heilige, sondern auch Bankdirektoren, Generäle, Politiker, Ärzte und Weissager, wenn sie ihre Aufgabe nicht richtig erfüllen.
Es grüsst Dich ehrfürchtig Dein Neffe Ibrahim