Die Rache des Malers
„Die Sexualität ist vom Teufel“, meint die katholische Moraltheologie. Wohl gibt es Versuche, diese Einstellung durch aufgeklärt übertünchte Erklärungen zu verbergen, doch die manichäistische Erbschaft der Körperfeindlichkeit konnte trotz Verurteilung der Lehre Manis in der Kirche nie ausgerottet werden. Zumindest theoretisch nicht. In der Praxis wurde die geschlechtliche Aktivität der Kirchenfürsten, wie wir das hinlänglich aus der Geschichte kennen, munter ausgelebt. Doch dem Volk der Gläubigen bläute man die Sündhaftigkeit des Sexuellen ein. Es fehlt nicht an karnevalistisch anmutenden Episoden, welche uns diesbezüglich überliefert wurden. Während Jahrhunderten durften an der päpstlichen Universität in Rom Autopsien durch Studenten nur dann durchgeführt werden, wenn den Leichen vorher die Geschlechtsteile entfernt wurden. Michelangelo musste die harsche Kritik des Zeremonienmeisters von Papst Paul III., einem gewissen Biagio da Cesena über sich ergehen lassen, weil der Künstler die Körper auf seinem Fresko über das jüngste Gericht seiner Ansicht nach zu offensichtlich verherrlicht hatte. Dieses Werk wäre eher als Wandschmuck für eine Kneipe als für eine päpstliche Kapelle geeignet gewesen. Michelangelo rächte sich elegant. Er verlieh einer Gestalt aus der Schar der Verdammten die Gesichtszüge von Biagio da Cesena. Der Zeremonienmeister war erzürnt und ersuchte den Papst, das Portrait entfernen zu lassen. Doch der Papst war geistreicher als sein Liturgiechef. Nicht einmal ein Papst vermöge eine Seele aus der Hölle zu erretten, gab er ihm zur Antwort.