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WIE HABAKUK DIE WELT ERLEBTE 13

Auf meiner Reise habe ich bei einem seltsamen Völkchen Aufenthalt gemacht, lieber Onkel Habakuk. Diese einfachen Leute stehen auf merkwürdige Art mit dem Tod per du. Früher musste ich schon oft die Erfahrung machen, dass die Menschen vom Tod im Tiefsten beschäftigt werden. Der Mensch möchte dem Altern und Vergehen, dem Zerfall, dem Entschwinden und dem Verwesen Einhalt gebieten. Auf tausend Arten versucht er Freund Hein zu besiegen oder ihn zumindest um einen milden Aufschub seiner lieblosen Pflicht zu bitten. Doch meine Gastgeber waren anders. Sie kennen die Furcht vor dem Tod nicht. Sie sind so felsenfest überzeugt, dass die Verstorbenen an ihrem Ort fröhlich weiterleben, dass das Sterben für sie nicht tragischer ist als das Mittagessen.
Als ich zu ihnen kam, brach große Freude aus. Mit Jubelrufen und Festgesängen wurde ich sogleich zum Zauberer geführt. Dieser begann mir Fragen zu stellen und ich erklärte ihm, dass ich eine lange Reise um die Welt mache, um alle Völker kennen zu lernen.
„Wir werden die Ahnen über dich befragen“, sagte er.
„Woher sollten deine Ahnen mich kennen?“
„Die Ahnen sind allwissend“, sagte der Zauberer. „Ihnen geht es gut, sie kennen jeden unter der Sonne, sorgen für Wärme und Regen, behüten unsere Saat und helfen uns, wenn wir im Kriege stehen. Sie werden uns sagen, wer du bist.“
Ich konnte mir nicht vorstellen, was er damit meinte.
„Wie wisst ihr all das?“, ging ich dem Problem auf den Grund.
„Wir stehen in Kontakt mit ihnen. Wir berichten ihnen unsere Neuigkeiten, damit sie uns raten, was wir tun müssen.“
Als der Zauberer merkte, wie wenig ich von seiner Rede verstand, erklärte er: „siehst du, wir werden den Ahnen heute Nachmittag mitteilen, dass du zu uns gekommen bist. Wir schicken einen Botschafter zu ihnen und sie werden uns erleuchten.“
Ich wurde stark neugierig. Um auf alle Fälle einen guten Eindruck zu erwecken, wusch ich mein Gesicht, kämmte mein Haar und meinen Bart und zog mein Festgewand an. Am Mittag endlich, als die Sonne am Zenit stand, rief man mich in die Dorfversammlung. Der ganze Stamm saß in einem großen Kreis um den Zauberer auf dem Boden.
Ein Mann wurde in die Mitte des Kreises gerufen, ein junger Mann in voller Lebenskraft.
„Sieh dir unseren Gast genau an, damit du ihn beschreiben kannst!“, befahl ihm der Dorfälteste.
Der Jüngling musterte mich, prägte sich mein Aussehen ein, musterte meine Größe, prüfte meine Kleidung. Dann nickte er dem Zauberer zu.
„Was wirst du den Ahnen sagen?“, fragte ihn jener.
Der Mann fasste seine Botschaft in genauer Ausführlichkeit zusammen. Dann winkte der Dorfälteste einem kräftigen Mann, der ein Schwert trug. Der ganze Stamm begann im Kreis herumzutanzen. Der Schwerttragende holte aus und schlug mit einem Hieb dem Jüngling den Kopf ab. Ich war entsetzt. Ich verstand: so schickt man also die Nachricht zu den Verstorbenen.
Merkwürdig, lieber Onkel. Hier erledigt man Menschen, um Neuigkeiten zu vermitteln; anderswo vermittelt man Neuigkeiten, um Menschen zu erledigen. Ich bin nie dahinter gekommen, wie der Jüngling die Antwort der Ahnen zurückbrachte. Wurde ihm etwa der Kopf wieder aufgesetzt?
Mit lieben Grüßen Dein Neffe Ibrahim