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Hoc est enim corpus meum

„Die Erde ist ein Würfel“, erklärt ein Weiser auf Twitter. „Doch nicht!“, entgegnen wir belustigt. „Aber ohne Zweifel“, beharrt der Weise leicht verärgert und wir merken, dass er es ernst meint. Obwohl unsere Toleranz auf harte Probe gestellt wird, belassen wir ihn in seinem Glauben. Wir wissen, dass der Glaube eine willkürliche und aprioristische Wahl ist ohne Bezug auf  Erkenntnis und Vernunft. Er ist ein unbegründeter Ausgangspunkt zu einer irrationalen Reise. Der Glaube ist eine Umkehrung der Polarität: „Ich will glauben, ich glaube, also besitze ich die Wahrheit“.

Mit dieser Einsicht haben wir die Grundlagen der Religionen freigelegt. Der bigotte Blaise Pascal schlug einen Gottesbeweis vor, hat indessen genau das Gegenteil erreicht: „Gott lässt in der Kirche sichtbare Zeichen zurück, um sich von jenen erkennen zu lassen, die ihn ehrlich suchen“.

Die Abfolge ist unlogisch: ich erkenne Gott, falls ich an der Kirche, doch davor noch an Gott selbst  glaube. Das ist ein Prozess der Autoinduktion. In der Philosophie wird das „petitio principii“ genannt, ein Zirkelbeweis, folglich ist es inkohärent. Die Theologen bieten ihn aber als Allheilmittel an und öffnen damit die Türen für alle Formen von Spekulationen. Die Jünger von Don Quijote erläutern ihre Visionen. Und davon gibt es viele!

In den frommen Enzyklopädien finden wir unter anderem die Frage, ob Gott einen Körper besitzt. Selbstverständlich kämpfen auch hier, wie immer, zwei Ansichten gegeneinander: die Rechtgläubigen, die diese Frage bejahen und die Rechtgläubigen, die sie verneinen. 

Die Gegner werben vom logischen Standpunkt mit einsichtigen Argumenten. Sie meinen, Gott sei immateriell, unendlich, ewig, unfassbar. Diese Eigenschaften lassen nur einen einzigen Schluss zu: Gott kann keinen Körper haben. Ein Körper ist indessen stofflich, also im Raum und in der Zeit begrenzt, sichtbar und durch den menschlichen Verstand analysierbar. Ferner kann Gott, mit einem materiellen Körper nicht der Schöpfer der Welt sein, weil gemäss des religiösen Glaubens die Materie von ihm selbst aus dem Nichts geschaffen wurde. Falls Gott ein materielles Wesen wäre, hätte er sich selbst erschaffen. Also Niet.

Man könnte vermuten, diese Gründe wären hinreichend schlüssig, um die Verfechter eines körperlichen Gottes von der Falschheit ihres Irrglaubens zu befreien. Mitnichten! Der Kampf gegen die Windmühlen geht wild weiter. In Anbetracht der unzähligen anthropomorphen Anspielungen auf die Körperlichkeit Gottes im Alten und Neuen Testament meinen viele, diese Andeutungen wörtlich nehmen zu müssen. „Wer keinen Körper besitzt, existiert nicht“, lautet ihre Überlegung. „Da aber Gott existiert, hat er einen Körper.“ Zwingend scheint das Argument zu sein, Jesus von Nazareth wäre Gott gewesen und besass einen Körper. Wir kennen die Wunden dieses Körpers mit seinen furchtbaren Leiden. Ferner hatte er selbst seine Körperlichkeit verkündet, indem er sein Leib in der Eucharistie als Erbschaft zurückgelassen hat. Hoc est enim corpus meum, sprach er anlässlich des letzten Abendmahls und lud seine Jünger ein, das Ritual zu einer Erinnerung zu feiern. Es konnte nicht anders kommen, als dass seine Gefolgschaft auch in diesem Punkt uneinig wurde. Die einen halten an einer realen Transformation – Transsubstantiation nennen sie das Hokuspokus, wo Brot zum Leib und Wein zum Blut Jesu wird. Andere wollen nur eine symbolische Präsenz anerkennen, wieder andere sehen darin nur eine mystische Gegenwart. Voltaire spöttelte mit seinem bekannten Zynismus über diese Auseinandersetzung: die Papisten würden Gott essen, die Kalvinisten Brot und die Lutheraner Gott mit Brot.

Die Radikalen vertreten extreme Ansichten. Und sie fordern einen Gott mit Augen, Armen, Flügeln, Händen, Herz, Leber, vielleicht sogar mit einem Geschlechtsorgan,  und allen anderen lebenswichtigen Organen. Da sind wir wieder: nach seinem eigenen Bilde erschuf der Mensch Gott. Karl Barth, der protestantische Theologe kam einer säkularen Deutung am nächsten, indem er darauf hinwies, dass Gott eben ganz anders ist und dem Menschen unerkennbar.

Eine Art Der-Fünfer-und-das-Weggli Theorie vertraten manche Gnostiker, die lehrten, der Erlöser habe nur einen Scheinleib gehabt, habe dabei die materielle Welt nicht geteilt, weil er sonst vom Bösen angesteckt worden wäre. Gelitten habe er auch nicht, weil das seine Göttlichkeit beeinträchtig hätte. Der Wunschkonzert der Absurditäten kann also weiter aufgeführt werden.

Im Sog dieser bizarren Theorien konnte die Rache der Logik nicht ausbleiben. So widmet sich heute eine Gruppe von Diätologen der Frage, ob die Veganen zur Kommunion gehen dürfen, da doch diese den Körper Jesu darstellt. Solche Absurditäten sind nicht neu. Schon im Mittelalter haben sich einige Theologen mit ähnlichen Fragen beschäftigt. So fragte ein Kirchenmann, ob Jesus wie alle anderen Menschen gegessen habe. In dieser Frage versteckt sich eine gefährliche Fussfalle. Um einen menschlichen Körper am Leben zu erhalten, muss man bekanntlich essen, doch Gott kann doch nicht von solchen Bedingungen abhängen. Was denken also? In schlauer Theologenmanier, die auch für alle Absurditäten eine Antwort bereit hält, wurden die Gläubigen beruhigt, indem behauptet wurde, dass Jesus wohl gegessen und getrunken, aber dabei nicht geschluckt habe. Welche Entdeckung! Dieser elegante Ausweg hat auch das profane Problem des Stoffwechsels gelöst. In der Tat, wie hätte man sich einen Gott auf der Latrine vorstellen können!

Und was soll man von den Krankheiten, Behinderungen oder Verletzungen halten? Ein Gott mit Kopfweh, Herpes oder Durchfall ist unvorstellbar, obwohl für einen menschlichen Körper durchaus gewöhnlich. 

Wenn auch heute die geläuterten Köpfe der Theologen die Frage nach der Körperlichkeit Gottes weniger lauthals diskutieren, sind sogleich sektiererische Strategen in die Bresche gesprungen. Der Mormone Barry Bickmore etwa ist ein vehementer Vertreter der Überzeugung, dass Gott wirklich menschliche Züge aufweist und belegt seine Theorie mit biblische Zitaten nach dem Prinzip: was mir dient ist richtig, was mir widerspricht ist falsch, bestenfalls rein symbolisch. Er beruft sich auf Persönlichkeiten, die Jahrtausende nach Jesus Gott gesehen zu haben berichten. 

Schwer zu glauben, doch stets dazu angetan, eine grosse Nummer von Jünger zu rekrutieren.