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Vor dem Spiegel

Sehen wir von einigen psychopathischen amerikanischen Sektierern ab, gibt es heute kaum jemanden, der an der ptolemäischen Sicht der Welt glaubt. Die Erde soll im Zentrum des Weltalls sein? Alles andere kreist um unseren Planeten? Die menschliche Wahrnehmung täuscht, nur die Entdeckungen der Vernunft, der Wissenschaften und der Werkzeuge, welche die Informationen unserer Sinne übersteigen, können die Subjektivität der Illusionen, die auf Irrwege führen, bestätigen. Das wird heute im allgemeinen von allen sachlich denkenden Menschen anerkannt. Die Menschheit hat also die ptolemäische Theorie hinterfragt und überwunden, erkannt, dass die Erde keine Scheibe und nicht das Zentrum der Welt ist. In einem Bereich jedoch verharrt sie starrköpfig im Geiste des abgeschütteten Weltbildes: im religiösen Glauben. Die Erde als Mittelpunkt des Universums wird von Theologen, Priestern, Rabbiner, Imams, Gurus und anderer Verkäufern von Aberglauben als bevorzugte Bestimmung interpretiert. Doch nicht, denkt jeder, der in den nächtlichen Sternenhimmel blickt. Gehen wir doch diesem Märchen auf den Grund und greifen wir zur Bibel.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde (Gen. 1,1). Wie sah diese Schöpfung am ersten Tag danach aus?

Der Himmel war zweifellos von Billiarden von Himmelskörper besetzt. Ich wiederhole: Billiarden! Eine solche Zahl ist für den menschlichen Verstand unergründlich. Man bedenke, dass die der Wissenschaft zugängliche Ausdehnung des Universums durch die lange Reise des Lichts beschränkt ist, das uns von den entferntesten Planeten erreicht. Dieser Vorhang bildet für uns die Grenze des erkennbaren Universums. Und die Himmelskörper senden uns die Nachricht: „wir sind hier, in einer für euch unzugänglichen, doch feststellbaren Entfernung.“ Mit allergrösster Wahrscheinlichkeit erstreckt sich das Universum weiter hinter diesen Grenzen, in eine unerforschbare Tiefe, von wo uns kein Signal, kein Lichtstrahl erreicht, weil das Licht dieser Himmelskörper noch nicht auf der Erde angekommen ist, zumindest vermutlich für die kommenden Jahrmillionen nicht.

Gott, wohl ein Alter mit weissem Bart, betrachtete mit Zufriedenheit seine Schöpfung und fand, dass er einen guten Job gemacht hatte.

Wie hat er das angestellt? Vielleicht war er der gewöhnlichen göttlichen Leere überdrüssig und so kam ihm eines Tages von einer plötzlichen Eingebung beseelt, eine Idee; er schuf den Himmel mit all seinen Sternen. Und gleich danach fand er: „Machen wir den Menschen nach unserem (göttlichen) Abbild, nach unserem Gleichnis.“ Eine wichtige und hinreichend revolutionäre Entscheidung, weil dadurch die soeben erschaffenen Himmelskörper bevölkert werden konnten. Doch Gott verwaltete die Ressourcen seiner Energie mit Sparsamkeit, indem er unter den Billiarden von Elementen eine kleine Gruppe von einigen hundert Galaxien auswählte, die einen Teil von insgesamt 900 Milliarden von Galaxien ausmachen: dann unter dem Superhaufen der Galaxien nur eine, Jungfrau genannt. Und  er entschied sich für eine lokale Gruppe mit dem Namen „Milchstrasse“.

Gott, der mit sich stets in der Mehrzahl sprach, fragte sich: wo wollen wir den Menschen beheimaten? Wir haben mehrere Milliarden von Sternen in dieser Milchstrasse gelagert. Und wenn wir alle Himmelskörper zusammenzählen, haben wir reichlich die Zahl von Billiarden übertroffen. Es gibt also genug Raum für unser Geschöpf „Mensch“ eine Heimat zu finden.

So bastelte er ein Vergrößerungsglas, um die Milchstrasse, die ja nur ein mikroskopischer Teil des Universums ist, besser sehen zu können. Nach einer aufmerksamen und gründlichen Betrachtung fand er schliesslich, was er suchte und rief aus: „Wir haben ein Sonnensystem entdeckt! Das scheint der Ort zu sein, den wir gesucht hatten.“

Da er vorher schon den Dart erfunden hatte, schoss er einen Pfeil ins Sonnensystem und traf einen Planeten, die „Erde“.

„Nun, das wird das Nest unserer neuen Erfindung. Ein Fast-Nichts im beinahe unendlichen Universum.“

Und dann wiederholte er seinen Businessplan: „Nun, machen wir den Menschen nach unserem Abbild.“

Er nahm ein wenig roten Lehm, schuf das Fleisch, schuf die Knochen, spuckte darauf, ein starker Donnerschlag war zu hören und auf diese Weise wurde der Mensch erschaffen. Es war Freitag der 13. im Jahre Null. (Francesco Guccini, La genesi)

Er machte es gut und darum war er auch stolz. Nach dieser Anstrengung musste sich Gott ein wenig ausruhen, er schloss die Augen und liess die Beine baumeln und genoss das dolce far niente. Beim Erwachen nach einer kurzen Siesta hatte er eine neue geniale Idee: „Wir wollen etwas Wichtiges und Aussergewöhnliches in unsere Schöpfung setzen: inmitten der Wohnstätte des Menschen, Paradies genannt, pflanzen wir einen Baum. Dann verbieten wir unserem Geschöpf, die Frucht dieses Baumes zu essen. Wir wollen für den Fall, dass der Mensch diese unsere Weisung nicht beachten sollte, Sanktionen erlassen. Wir wollen ihn bestrafen samt all seinen Nachkommen, selbstverständlich auch jenen, die noch nicht geboren sind.

Ein konfliktträchtiges Vorhaben für die Zukunft.

Gesagt, getan, Gott setzte sich zufrieden, bestaunte sein Werk und kontrollierte das Kommen und Gehen des Menschen. Ausser der Geschichte mit dem Apfelbau erliess er keine weiteren Verbote. Zumindest am Anfang nicht. Im Paradies konnte der Mensch andere Götter anbeten, sich vor diesen niederwerfen, Bilder von diesen anfertigen oder Gottes Namen missbrauchen, während der Festtage arbeiten, musste Vater und Mutter nicht ehren, durfte töten, stehlen, Ehebruch begehen, falsche Zeugnisse ablegen. Das Wichtige war, nicht von der verbotenen Frucht zu essen. O Gott! Welch’ raffinierter Sinn für Proportionen!

Leider hat der Mensch den Einflüsterungen des Teufels, einem anderen göttlichen Wesen, das auf das erste eifersüchtig war, nachgegeben. „Du wirst zwischen Gut und Böse unterscheiden können“, versprach er ihm. Der Mensch, der zu diesem Zeitpunkt den Unterschied zwischen Gut und Böse also noch nicht kannte, konnte sich nicht vorstellen, dass Ungehorsam gegen Gott etwas Schlechtes war. So hat er in unschuldiger Naivität den Apfel gegessen. Gott war erzürnt und schwur Rache, mit seinem unvernünftigen Charakter, eitel, rachsüchtig, unlogisch, verlogen, grausam und egoistisch war er. Der Mensch hat also den Zorn Gottes erregt und die Strafe auf sich und auf seine Nachkommen heraufbeschworen.

Was nun folgt, ist eine lange Serie von Konflikten, bis Gott die Geduld ausgeht und beschliesst, den Menschen zu ertränken. Er rieb sich die Hände und schickte die Sintflut über die Erde. „Ich werde es euch zeigen!“ rief er aus. Wie man weiss, sind gewichtige Entscheidungen oft wankelmütig, so erlaubte er einem einzigen Menschen eine Arche zu zimmern, um alle Lebewesen an Bord zu nehmen und in eine trockene Welt zu führen.

Dann begann mit der Menschheit, die Gott zur Verzweiflung trieb, alles von vorne. Es war nicht leicht für diese ewigen Konflikte eine Lösung zu finden, doch Gott wäre nicht Gott, wenn er auch hier nicht einen raffinierten Trick gefunden hätte.

Er überreichte seinem Diener Moses einige Steintafeln darauf zehn Gebote standen, die befolgt werden mussten. Doch die Täuschung folgte dem Gesetz auf dem Fuss: der Mensch setzte die Vorschriften nach seinem eigenen Gutdünken um, das heisst überhaupt nicht. Wieder war Gott unzufrieden.

Dann beschloss er: „Ich muss persönlich eingreifen, ich werde selbst Mensch, steige auf die Erde herab, lasse mich kreuzigen und erlöse auf diese Weise die Menschen von der Sünde, die eigentlich nichts anderes ist als  die Folge einer Marotte von mir.“ Im Mittelpunkt des Universums spielte sich ein Drama ab.

In der Zwischenzeit verfolgt das Universum mit Befremden, was auf einem winzigen Himmelskörper vor sich geht.

Auch der Mensch beobachtet: täglich im Spiegel beim Rasieren. Er lächelt und meint, aus dem Spiegel blickte ihn Gott an, sein Schöpfer, der ihn nach seinem Ebenbild geschaffen hat.