Die Arroganz des Missionars

Gedanken Fortsetzung

 

 

Die Arroganz des Missionars

Die religiös begründete Gewalt, die wir in unseren Tagen beinahe täglich erleben, ist nicht neu im menschlichen Zusammenleben. Wer gerne in den Geschichtsbüchern stöbert, wird bei der Suche nach Beispielen bald fündig. Neu ist die Intensität, die Häufigkeit und die unbegründete Selbstverständlichkeit mit der sie ausgeübt wird. Der Anspruch auf Berechtigung wird von der Hybris geleitet, die eigene Überzeugung für alle Menschen verbindlich zu erklären. Dadurch wird die Gewaltsausübung zum Auftrag, zur Sendung, zur “Mission”. Der Missionar indessen zum Herold “höherer Werte”. In meiner Jugend, die durch die katholische Erziehung geprägt war, sah ich in der Person von Missionaren heldenhafte Nutzbringer. Sie haben schliesslich die Unwissenden zur Wahrheit geführt. Was ich übersehen hatte war die fehlende Antwort auf die Frage von Pilatus an Jesus: was ist Wahrheit? Für mich war sie schlicht und einfach “meine” Wahrheit, begründet durch die Worte der Mutter, die dann durch die Priester bestätigt wurden. Es war nur logisch, dass sich Menschen der Verbreitung dieser Wahrheit gewidmet hatten. Doch meine “Wahrheit” verblasste mit der Zeit, als sie der Prüfung eines eigenständigen Denkens unterzogen wurde. Sie war nicht mehr wahr, meine “Wahrheit”. Anderes trat an ihre Stelle. Die Versuchung beschlich mich, selbst gegen die frühere Wahrheit zu missionieren. Doch worin unterschied sich die neue von der alten Wahrheit? Sie war stets “meine” Wahrheit. Genauso subjektiv und relativ wie die frühere, alte. Sie verstehen schon: das Missionieren wird durch seinen Gegenstand in Frage gestellt. Dennoch verspüre ich den Wunsch, meine Überzeugungen anderen einzuimpfen. Was tun, also? Exhibieren! Die Gedanken präsentieren, zur Überprüfung freigeben, erläutern. Eine Modeschau der Einsichten vorführen. Wie an einer wirklichen Modeschau. Das Publikum mag dann auswählen, was ihm gefällt. Darf ich dabei grob werden, die Andersgläubigen lächerlich machen, sie durch Blasphemie beleidigen? Wenn ich akzeptiere, dass sie mit mir dasselbe tun, ja. Tue anderen nichts an, was du für dich nicht zulässt. In einem Kampf müssen alle Regeln reziprok angewendet werden. Nur Pervertierte, wie Nero, der die im Schaukampf gegen ihn kämpfenden Gladiatoren mit Holzschwertern ausrüsten liess, während er richtige Waffen führte, befürworten die Zensur. Ob das totalitäre politische Systeme, die katholische Inquisition, die Fanatiker des Islams, oder andere Integralisten sind, Zensur ist  ein Merkmal von Sturheit, Intoleranz, Rechthaberei und Schwachheit der eigenen Gedanken. Sie ist das Vorzimmer von Scheiterhaufen und Terrortöten wegen harmlosen Karikaturen. Warum verbreiten wir unsere Ideen, falls das Missionieren nicht wirkt? Während meiner Studien der Philosophie wurden uns  die Lehrsätze in Formen von “Thesen” präsentiert. Am Schluss der Erläuterungen wurden auch die Argumente der Gegner erörtert. In einer Art und Weise, die a priori zum Ausdruck brachte, dass diese lächerlichen Gedanken falsch waren. Die Semester waren mit sogenannten “disputationes” geschmückt. Ein Student hatte die edle Aufgabe, eine ausgewählte These zu vertreten. Ein Gegenspieler musste den advocatus diaboli spielen, sich also auf die Rolle der intellektuellen Opposition vorbereiten. Der Sieg war vorprogrammiert: das Gute, Wahre und Unumstössliche obsiegte immer. Niemandem wäre es in den Sinn gekommen, eine noch so brillante Gegenposition ernstzunehmend.Diese Haltung trifft in den allermeisten Fällen auf die Auseinandersetzung der Menschen mit fremden Ideen zu. Wir wählen Bücher, Zeitungen, Vorträge, Fernsehsendungen und vieles andere, um die eigene Überzeugungen zu festigen. Greifen wir einmal zu Quellen, die andere Ansichten offenbaren, dann tun wir das mit der stillschweigenden Absicht, in diesen die Fehler, Lücken, Mängel und Widersprüche aufzudecken. Das Mitdenken mit anderen, die ihre Ideen darlegen, ist ein seltenes Phänomen; man verfolge nur einige Fernsehdiskussionen. Jeder leiert seine vorbereitete Meinung hinunter, ein Gedankenaustausch findet nicht statt. Die Argumente der anderen interessieren nicht mehr als die Selfies einer unbekannten Tischnachbarin mit ihrem toten Hund Gypsi.

Alle Fanatiker fassen ihre “Wahrheit” als ausschliesslich und exklusiv auf. Extra ecclesiam nulla salus. Dasselbe hatte auf seine Sicht bezogen auch Bin Laden behauptet, als er sagte, er müsse mit aller Gewalt seine Werte verteidigen, weil sie von Gott gegeben seien. George W. Bush gab bei der Begründung seiner Entscheidung, in Afganistan einzumarschieren, wortwörtlich die gleiche Rechtfertigung von sich. Dumm ist dabei, dass diese Götter sich nicht auf die gleichen Werte einigen können. Das würde viel Blutvergiessen vermeiden.
Je dogmatischer dabei die Grundlagen einer Meinung, umso verstockter die Geister. Denn Dogmen sind nur deklamatorisch, gründen auf autoritäre Selbstherrlichkeit und lassen sich nicht nachprüfen. Also  müssen sie mit Rechthaberei verteidigt werden. Die Kardinäle weigern sich, ins Fernrohr Galileo Galilei’s zu schauen, denn die Evidenz darf nicht gegen das Dogma aufkommen. Die Welt verherrlicht zwar den guten Papst Franziskus, weil er einen neuen Wind in die katholische Kirche bringt. Doch wenn dieser neue Wind nur in den Ruinen eines zerfallenen Glaubensgerüstes weht, wo die alten Dogmen weiterwuchern, ist er sinn- und nutzlos. Die dogmatischen Islamisten missionieren mit Bomben, Kalashnikovs und Raupenfahrzeugen. Nicht als Autoritätsbeweis, den ich weiter unten ablehne, sondern als Verweis auf geschichtliche Empfindung möchte ich einen Satz aus den Werken von Johann Gottfried Herder anführen: Mohammed wittert gegen jene, die sich nicht zu seiner Lehre bekehren lassen wollten und droht ihnen mit harter Strafe. “Leider ging ihnen (seinen Nachfolgern) auch hierin das Christentum vor, das unter allen Religionen zuerst seinen Glauben, als die notwendige Bedingung zur Seligkeit fremden Völkern aufdrang; nur der Araber bekehrte nicht durch Schleichhandel, Weiber und Mönche, sondern wie es dem Mann der Wüste geziemte, mit dem Schwert in der Hand und mit der fordernder Stimme “Tribut oder Glaube!”
Jedes Missionieren geht davon aus, dass dies im Namen der “Wahrheit”, einer absoluten Wahrheit geschieht. Es soll hier nicht versucht werden, das Fata Morgana “Wahrheit” einzufangen. Seit Jahrtausenden haben unzählige Philosophen das Unmögliche versucht, verbissen, beharrlich, verblendet und ergebnislos. Fast jeder war der Überzeugung, sie – im Gegensatz zu den Kollegen – gefunden zu haben. Hat sich dann diese Illusion auch in den Köpfen von Theologen, Priester und sonstigen Glaubenskündern eingenistet, so wurde der Anspruch einer höheren Urheberschaft der Wahrheit erhoben, mit all den verheerenden Folgen, die wir aus der Vergangenheit und in der Gegenwart kennen. Doch alle Wahrheit erweist sich als unzuverlässig, als undefiniert, als unscharf, womit ihr der Boden entzogen ist, auf dem sie ihr System errichtet. Kant sprach es deutlich aus, die Neurowissenschaften haben es experimentell nachgewiesen, dass die erkenntnistheoretische Naivität einer reellen Wahrnehmung der Welt eine archaische Vorstellung ist. Natürlich wäre die Hilfe eines übergeordneten Geistes bei der Deutung der sich uns eröffnenden Phänomene nicht nur nützlich, sondern auch unerlässlich, doch da die angebliche “Offenbarung” eines, besser vieler solcher Geister – Götter nennen wir sie – erwiesenermassen auch ein Konstrukt unseres Gehirns ist, beisst sich hier der Hund in den eigenen Schwanz. Die Beeinflussung durch Missionieren, insbesondere durch gewalttätiges Aufoktroyieren, ist also verwerflich. Gilt dasselbe für alle Arten von Beeinflussung? Dann wäre auch die Erziehung, die Ausbildung unzulässig. Doch verwechseln wir Wissensvermittlung nicht mit Glaubensvermittlung!
Eine grundsätzliche Erörterung gebührt der Frage, warum sich einer wünscht, dass auch andere dasselbe glauben wie er. Warum fühlt sich der Mensch berufen, zu missionieren? Lassen wir das Argument der Verbreitung der Wahrheit beiseite, weil wir, wie oben besprochen, überzeugt sind, dass die Wahrheit unauffindbar ist. Missionieren entsteht unbewusst aus dem Gefühl der Glaubensunsicherheit. Der Missionar sucht Glaubensverstärkung, Glaubensbestätigung. Er konsumiert das, was ich “Uniformdroge” nenne. Uniforme verscheuchen die Einsamkeit. Die Wir-Erfahrung versetzt das Individuum in ein grösseres Gefüge, das dem einzelnen eine vermeintliche Objektivität vorspiegelt. Uniforme gibt es für den Körper und für den Geist. All jene, die meine tragen, sind wie ich, mir verwandt, kämpfen auf der gleichen Seite. Bei ihnen fühle ich mich aufgehoben.
Warum will einer, dass alle anderen dasselbe glauben wie er? Zur Stärkung des eigenen, von Zweifeln geplagten Glaubens. Denn wenn viele dasselbe glauben, muss es auch richtig sein. Sind es berühmte Persönlichkeiten, die meine Uniform tragen, so ist die Beweiskraft der Glaubensargumente stark. Man beruft sich auf Autoritätsbeweise. Zitate werden eingesetzt, als könnten sie Anspruch auf Unumstösslichkeit erheben.
Doch viele glauben an anderen Werten. Dennoch lehnen die Integralisten aller Schulen einen Pluralismus der Meinungen ab. Und sie missionieren mit ihren diversen Waffen beharrlich weiter. Die Machtlosigkeit gegen diese Anmassung kann nur mit Mitleid für Täter und Opfer beantwortet werden.