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Der Marquis de Sade

Wenn wir seinen Namen hören, empfinden wir spontan einen starken Widerwillen: es geht um den Marquis Donatien Alphones François de Sade. Sein Leben steht unter dem Zeichen eines exzessiven Egoismus, einer unbändigen Arroganz, einer anmassenden Unverschämtheit, der Idee, über allem und allen verfügen zu dürfen, weil er sich über alle Konventionen, Gesetze und Abmachungen wähnt. Kurz, die Person stösst uns auf den ersten Blick ab. Lesen wir aber seine Werke, so entdecken wir hinter dieser Mauer von Bestialität einige Werte von philosophischer, politischer und literarischer Tragweite. Wir wollen ihm in diesem Zusammenhang das Wort erteilen.
De Sade gehört zwar dem französischen Adel an, wird dennoch zum citoyen, zum Anhänger der Französischen Revolution. Als einer der wenigen Gefangenen in der Bastille wurde er, nach einer langen Haftstrafe vor dem Ansturm auf das Pariser Gefängnis am 14. Juli 1789 in ein Pflegeheim in Charenton überführt. Er wurde als geisteskrank betrachtet und in diese Anstalt eingewiesen. Die Beurteilung seines Gesundheitszustands gab viel zu reden, da doch seine Ausgrenzung auch dem Umstand zu verdanken war, dass er ein unbequemer Charakter war.
De Sade war ein erklärter Atheist. Er hat seine Gedanken in einem kurzen Werk mit dem Titel Zwiesprache zwischen einem Priester und einem Sterbenden niedergeschrieben. Der Sterbende, gemeint ist de Sade selber, provoziert den Priester mit der Aussage, er würde es bereuen, dass er nicht hinreichend die Allmacht der Triebkräfte der Natur anerkannt und ihre Befriedigung nicht genügend betrieben hatte. (Wer sonst, wenn nicht er, muss ich mich fragen). Der Priester entgegnet, indem er sich auf den Schöpfer bezieht, dass Gott nicht für die abwegigen Neigungen der korrupten Natur verantwortlich sei. Während de Sade für diese Korruption der Natur Gott anklagt, sucht der Priester Ausflüchte in der freien Wahl des Menschen, der seine Freiheit falsch eingesetzt hat. Der Sterbende geht zum Angriff über und behauptet, dass mit einem Wort alles, was die Grenzen des menschlichen Geistes übertrifft entweder Trug oder Eitelkeit ist. Da dein Gott entweder das eine oder das andere dieser Möglichkeiten ist, wäre er im ersten Fall ein Verrückter, im zweiten ein Dummkopf, an ihn zu glauben. Dein Gott ist nur eine Maschine, die du konstruiert hast, um die Leidenschaften zu pflegen und diese nach Belieben funktionieren zu lassen. Der Priester holt das As aus dem Ärmel und verweist auf die „Wunder, die unser göttlicher Erlöser“ bewirkt hat. Der Unglückliche wird aber postwendend mit der trockenen Behauptung liquidiert, dass dieser göttliche Erlöser nur ein Schuft und ein gewöhnlicher Betrüger sei. Um alle Missverständnisse zu vermeiden dehnt er dieses Urteil auf alle Religionen aus. „Was siehst du im Universum? So viele Gottheiten wie die Gehirne und Glaubensinhalte sind. Und diese Vielfalt der Meinungen, zwischen denen ich nicht zu wählen fähig bin, wäre gemäss deiner Ansicht Werk eines gerechten Gottes? Dein Jesus ist nicht mehr wert als Mohammed, Mohammed nicht mehr als Moses, keiner mehr als Konfuzius. Allgemein sind alle diese nur Betrüger, von den Philosophen verhöhnt, vom Auswurf der Gesellschaft mit dem Glauben beschenkt, wobei sie von der Justiz hätten gehenkt werden sollen.“ Dann verstärkt der Sterbende seine Polemik bis zur Lästerung gegen Jesus. Der Priester sucht seine Rettung im Hinweis auf das ewige Leben und Verdammnis. „Aber warum willst du, dass ich für Tugenden belohnt werde, an denen ich keinen Verdienst habe“, wendet de Sade ein, „oder für Verfehlungen bestraft, die ich nicht begangen habe? Wollte mich dein vermeintlicher Gott nur deshalb erschaffen, um sich an der Strafe zu ergötzen, die er mir für Taten auferlegt, die ich nicht verantworte? Der Gedanke an die menschliche Freiheit wurde nur erfunden, um die Idee der Gnade einzuführen, die für eure Hirngespinste so nützlich ist.“ Der Sterbende fühlt das Ende nah und de Sade will in diesem Augenblick nicht auf die Maxime seines Lebens verzichten: „Mein Freund, die Wollust war stets mein höchstes Gut, ich habe sie mein ganzes Leben lang angebetet, und wollte meine Tage in ihren Armen beenden: mein Ende naht, im Zimmer nebenan sind sechs Frauen, schöner als der Tag, die ich für diesen Augenblick bestellt habe. Erfreue auch du dich an ihnen.“ Er läutet, die Frauen treten ein und der Prediger fällt in ihre Arme. Er wird so zu einem Korrupten der Natur, weil er es nicht fertiggebracht hatte zu erläutern, worin die verdorbene Natur besteht.
Der Schlüssel, den de Sade braucht, um die eitle Wortklauberei des Aberglaubens und all der dummen Fehler der Heuchelei zu widerlegen kann sich auf einen stoischen Ratschlag reduzieren: erforsche besser die Physik und du wirst die Natur besser verstehen.